Nach dem tödlichen Unfall eines 16-Jährigen beim Speerwerfen im Sportunterricht am 5. September in Gütersloh hat es auch bei unserem Landesverband des DSLV Anfragen gegeben, ob nicht das Speerwerfen als eine zu gefährliche Sportdisziplin für den Sportunterricht anzusehen sei. Insbesondere Sportlehrkräfte scheinen wegen möglicher Haftungsansprüche verunsichert zu sein.
Dazu stellen wir als berufständige Vereinigung der Sportlehrerinnen und Sportlehrer in NRW fest: Das Entsetzen und Mitfühlen bei diesem unfassbaren Sportunfall sollte aus sportfachlicher Sicht nicht zu vorschnellen generellen Verboten für den Sportunterricht führen.
Speerwerfen ist als Teil des Lernfeldes „Laufen, Werfen, Springen – Leichtathletik“ in oberen Klassenstufen im Rahmen der verbindlichen amtlichen Lehrpläne ein möglicher Unterrichtsgegenstand. Ausgebildete Sportlehrkräfte kennen die Sicherheitsvorkehrungen, unter denen Speerwerfen Gegenstand des Unterrichts sein kann.
Uns ist als Verband ein gravierender Unfall beim Speerwerfen bislang nicht bekannt. Es ist allerdings unzweifelhaft, dass Sport insgesamt risikobelastet ist. Wer Sport treibt, setzt sich immer der Gefahr eines unvorhergesehenen Unfalls aus. Das bedenkt auch der Gesetzgeber, wenn er Handlungsmöglichkeiten mit Gefährdungspotential eröffnet (z.B. im Straßenverkehr) oder zu einer Pflichtveranstaltung macht (z.B. in der Schule), indem er die Haftungsproblematik bei Unfällen in solchen Situationen regelt. In unserem „Ratgeber für Sportlehrerinnen und Sportlehrer“ heißt es dazu:
„Es ist eine irrige Meinung, dass jedes Schadensereignis zu einem Haftungsanspruch führt. Die Rechtsprechung kennt nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch grundsätzlich keine Gefährdungshaftung. Das ist die Haftung für Schäden, die sich aus einer „erlaubten Gefahr“ (zum Beispiel der Teilnahme am Straßenverkehr) ergeben können. Auch die Teilnahme am Sportunterricht gehört in diesen Bereich: Die Gesellschaft hat bestimmt, dass es in der Schule auch Unterricht im Sport geben soll, und damit übernimmt der Sportlehrer (in erlaubter Weise) die grundsätzlich nicht ungefährliche Aufgabe, die Schüler in diesem Fach zu unterrichten. Dabei kann es zu Unfällen kommen mit der Folge, dass Schüler sich verletzen und evtl. Schäden davontragen. Dafür kann der Sportlehrer jedoch nicht von vornherein in Haftung genommen werden, sondern nur dann, wenn er an einem Schülerunfall mit Verletzungsfolgen schuldhaft beteiligt ist. Man spricht in diesem Fall von einer Verschuldenshaftung (§ 823 ff. BGB). Um bei einem erlittenen Schaden einen Haftungsanspruch durchsetzen zu können, muss demnach grundsätzlich nicht nur ein Schadensverursacher festgestellt, sondern darüber hinaus diesem auch ein tatsächliches Verschulden nachgewiesen werden.
Ebenso falsch ist die Annahme, man könne allein aufgrund des bloßen Schadenseintritts automatisch – gleichsam rückwirkend vom Ergebnis her – Aussagen darüber machen, dass ein Sportlehrer durch sein Verhalten eine Pflichtverletzung begangen habe. Es gibt in kaum einer konkreten Situation dasjenige Verhalten, das einzig als „richtig“ anzunehmen ist, sondern in der Regel durchaus verschiedene Verhaltensmuster, die als vernünftiges und sinnvolles Handeln gelten können. Nicht jede aus der Rückschau als Fehler erkennbare Verhaltensweise eines Sportlehrers muss nach Eintreten eines Schadens als schuldhaftes Handeln im Sinne einer Verletzung seiner Aufsichts- und Sorgfaltspflicht bewertet werden.“
Für Sportlehrkräfte ist es wichtig zu wissen, dass sie selbst bei Verschulden eines Schadens durch eine Amtspflichtverletzung über die Amtshaftung ihres Dienstherren weitgehend vor Haftungsansprüchen im Zusammenhang mit ihrem Unterricht geschützt sind. Das Land kann einen Regress nur bei nachgewiesen vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Handeln fordern. Erscheint schon eine vorsätzliche Schädigung im Schulbereich undenkbar, so ist auch ein grob fahrlässiges Verhalten einer Lehrkraft nur schwer vorstellbar. Im „Ratgeber …“ findet sich dazu folgender Passus:
„Grobe Fahrlässigkeit ist in den gesetzlichen Bestimmungen nicht abschließend definiert und hängt letztlich von der Beurteilung der konkreten Umstände des Einzelfalls ab. Ausgehend von der Definition der Fahrlässigkeit in § 276 BGB (Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.) wird man grobe Fahrlässigkeit dann annehmen, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt oder missachtet wird oder wenn einfachste und ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn man sich über Bedenken hinwegsetzt, die sich angesichts der situativen Umstände jedem aufdrängen müssen.