Mit weit mehr als 10 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern im Jahr ist der eSport in Deutschland längst kein Randphänomen mehr. Dabei sind es auch häufig Heranwachsende, die den eSport praktizieren oder ihn live in riesigen Hallen und über die Medien verfolgen. Dass die Computerspielebranche, natürlich wohl bedacht und interessengeleitet, das Label „Sport“ für diese Form des virtuellen Spielens gewählt hat, wird vermutlich Folgen für das Sportverständnis der Aktiven und der Fans haben, insbesondere wenn es sich dabei um Kinder und Jugendliche handelt.
Die Vorstellung von an der Spielekonsole sitzenden Kindern und Jugendlichen steht im krassen Gegensatz zum Sportverständnis vieler Sportlehrkräfte. Dessen Zentrum bildet bei allen unterschiedlichen Facetten die körperliche Aktivität. Dieser Gegensatz führt häufig zu einer grundsätzlichen Ablehnung der Beschäftigung mit dem Thema eSport im Sportunterricht. Nimmt man die Forderungen nach Lebenswelt- und Schülerorientierung für die Gestaltung des Sportunterrichts ernst, kommen die Sportlehrkräfte jedoch nicht umher, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Konsequenzen sich aus dem eSport für den Sportunterricht ergeben.
Die Position des DSLV:
Der pädagogische Doppelauftrag der Erziehung durch und zum Sport ist das Leitmotiv eines modernen Sportunterrichts. Sportliches Können, gesammelte Erfahrungen, erworbenes Wissen sowie gewonnene Haltungen und Einsichten sind Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sowie die Befähigung und Motivation für ein lebensbegleitendes Sporttreiben, welches in der realen, nicht in der virtuellen Welt stattfindet.
Sport als gesellschaftliches Phänomen ist im ständigen Wandel. Aktuell zeigt sich das besonders an der Entwicklung des eSport, die Einfluss auf die Bewegungs-, Spiel- und Sportsozialisation vieler Heranwachsender haben dürfte. Vor dieser Entwicklung sollte der Sportunterricht die Augen nicht einfach verschließen, sondern sie zum Ausgangspunkt einer kritischen Auseinandersetzung machen. Damit ist kein Plädoyer für einen regelmäßig sitzenden Sportunterricht vor dem PC verbunden und es wird auch keine Anerkennung von eSport als Sportart auch für den Sportunterricht angestrebt. Sportunterricht darf keinesfalls durch eSport-Unterricht ersetzt werden, weil dies den Zielen des Sportunterrichts im Sinne einer Entwicklungsförderung durch Bewegung, Spiel und Sport und einer Anbahnung eines lebenslangen Sporttreibens entgegenstehen würde.
Die eigene leibliche Erfahrung bildet ein ganz zentrales Element des Sportunterrichts. Bei gegebenen technischen Voraussetzungen kann deshalb auch das virtuelle Spielen kurzzeitig praktisch erprobt werden. Hier bieten sich beispielsweise virtuelle Sportsimulationen im Kontrast zum realen Sportspiel an, die eine Reflexion entlang der Frage „Was ist Sport?“ ermöglichen. Solche Reflexionsprozesse auf Grundlage eigener praktischer Erfahrungen führen viel eher zu einem kritischen Hinterfragen des eigenen Sportverständnisses – im Verständnis zahlreicher Kinder und Jugendliche ist eSport nämlich Sport – als Belehrungen durch die Lehrkraft das könnten.
Schülerinnen und Schüler sollen jene sportliche Handlungskompetenz erlangen, die sie aktiv an der Erschließung der Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur teilhaben und an deren Gestaltung mitwirken lässt. In diesem Zusammenhang fordern wir die Sportlehrkräfte dazu auf, sich der Frage „Ist eSport Sport?“ gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern zu stellen und damit das eigene Sportverständnis zum Thema zu machen.