Bundesjugendspiele

Bundesjugendspiele weg ?

Christine Finke fordert die Abschaffung der Bundesjugendspiele. Aufgebracht dadurch, dass ihr Sohn weinend von den Bundesjugendspielen nach Hause kam, weil er lediglich eine Teilnehmerurkunde erreichte, hat sie den Hashtag #bundesjugendspieleweg im Kurznachrichtendienst Twitter etabliert und parallel dazu auf „change.org“ eine Petition gestartet. Zuspruch bis heute (26.6.15 18:00 Uhr) 14683 Personen.

Worum geht es?
In ihrer Petition „Bundesjugendspiele abschaffen!“ schreibt Frau Finke:
„Die Bundesjugendspiele sind nicht mehr zeitgemäß: Der Zwang zur Teilnahme und der starke Wettkampfcharakter sorgen bei vielen Schülern für das Gefühl, vor der Peergroup gedemütigt zu werden.“ Und noch einmal: Für viele weniger sportliche Schüler hingegen bedeuten diese Spiele eine alljährlich wiederkehrende öffentliche Demütigung.
„Sport sollte Spaß machen und nicht nur für ein gutes Körpergefühl, sondern auch für Selbstbewusstsein sorgen, unabhängig vom Talent und Können des Einzelnen.“

Im Interview auf Spiegel online vom 25.6.2015 äußert Frau Finke auf die Frage, ob sie auch eine Petition gegen Matheunterricht unterstützen würde:
„Nein. Natürlich werden auch in Mathe manchmal Schüler an die Tafel geholt und müssen sich vor der Klasse beweisen. Aber der Konkurrenzkampf wird in Mathe nicht so zelebriert und inszeniert wie bei den Bundesjugendspielen. Nach den Bundesjugendspielen verlesen die Lehrer oft im Unterricht, wer wie viele Punkte gemacht hat. Vor versammelter Klasse werden die Urkunden überreicht. Warum muss man unsportliche Kinder so einer Demütigung aussetzen?“

Liest man die befürwortenden Beiträge, so fällt auf, dass der Zwang zur Teilnahme negativ aufstößt und das Argument der Demütigung von vielen geteilt wird. Sie haben die Bundesjugendspiele also offenbar so empfunden.

Darüber hinaus werden die Spiele als unzeitgemäß beurteilt und als Relikt der Reichsjugendspiele diskreditiert.

Liest man den aktuellen „Aufruf“ zu den Bundesjugendspielen 2015/2016 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, wird sehr gut deutlich, wie sich die Bundesjugendspiele verändert haben. Neben dem klassischen Wettkampf sind die Formen Wettbewerb und Mehrkampf hinzugetreten.

Aus unserer Sicht haben alle drei Formen ihre Berechtigung – auch unter Gesichtspunkten von Heterogenität. Sich im Wettkampf messen zu wollen ist ein legitimes Ziel. Die im Wettbewerb thematisierten Übungen decken grundlegende Bereiche motorischer Koordination, Ausdauer und auch die Kooperation mit Partnern ab. Das sind überaus sinnvolle Inhalte. Der Mehrkampf ist auf Vielseitigkeit angelegt, indem er aus den Disziplinen Turnen, Leichtathletik und Schwimmen Anforderungen zu-sammenstellt. Die Bundesjugendspiele geben Anlass für ein aus dem Alltag herausgehobenes, Gemeinsamkeit stiftendes Sportfest.
Sie sind – und das ist ganz wesentlich – im Sportunterricht angemessen vorzubereiten und bedürfen – wie jeder sportliche Wettstreit im Kontext des Schulsports – der pädagogischen Hinführung, Begleitung und Nachbereitung.

Insofern besteht völlige Übereinstimmung mit Frau Finke hinsichtlich des pädagogischen Ansatzes im Schulsport. Grundhaltung sollte es sein, eine Leistung individuell zu würdigen und zu bewerten. Neuschöpferisch könnte man sagen, Leistung sollte „profitorientiert“ betrachtet werden: Was war deine Ausgangslage? Was hast du geleistet? Was kannst du schon gut? Was musst bzw. willst du noch üben? Damit ist der Vergleich aber nicht vom Spielfeld. Dies gilt auch für die Frage: Wo steht diese Leistung in Relation zu anderen? Sie ist Bestandteil von Leistungsbeurteilung. Auch damit muss man umgehen lernen.

Wogegen sich die Initiatorin zu wenden scheint – und auch die ihr Folgenden – ist der Umgang mit Leistung. Eine Leistung widergespiegelt zu bekommen – hier in Form einer Teilnehmerurkunde – sei demütigend und deshalb müsse man die Spiele abschaffen, so die Argumentation. Das verlagert die Diskussion auf ein ganz anderes Spielfeld.

Sport kann auf sehr direkte, unmittelbare Weise Rückmeldung über die eigene Leistung in Relation zu anderen geben. Sieg oder Niederlage, erster Platz oder eine Platzierung im Feld der TeilnehmerInnen sind aber nicht eigentlich demütigend. Der Sohn der Initiatorin hängt unter Umständen einem Sportverein an und verfolgt deren Siege und Niederlagen als Fan. Auch spricht sich Frau Finke nicht gegen Sportunterricht aus oder gegen den Mathematikunterricht. Aber würde sie bei der Rückgabe einer mit Noten beurteilten Klassenarbeit im Fach Deutsch oder Mathematik von Demütigung sprechen?

Geht es nicht um etwas anderes, um die Frage, welche Bewertung über die Leistung hinaus wird vorgenommen? Demütigung, also Herabsetzung, darf niemals Bestandteil einer Leistungsbewertung sein. Sie kommt mitunter individuell als Empfindung hinzu oder wird von außen herangetragen. Weder Mitschüler noch Lehrkräfte noch Eltern haben ein Kind für eine erbrachte Leistung zu diskriminieren. Das ist ein No go! Jede Leistung ist zu würdigen. Sie ist aber auch auf die Bedingungen zurück zu spiegeln.

Eine alleinige Notenfindung über die erbrachte Wettkampfleistung ist einseitig. Die in der Vorbereitung auf die Spiele gezeigte Leistung, die Anstrengungsbereitschaft, die Kompetenz in der Kooperation, die persönliche Entwicklung usw. sind ebenfalls Leistungsfaktoren. Sie sollten in eine Notengebung einfließen und können die im Wettkampf erbrachte Leistung erheblich relativieren – im positiven wie im negativen Sinne.

Zu diskutieren bliebe der Aspekt der Freiwilligkeit für den Wettkampf. Hier haben aber die Schulen die Möglichkeit, ihr pädagogisches Potential und die Bandbreite an Angeboten auszuschöpfen, indem sie neben dem Wettkampf auch den Wettbewerb oder vergleichbare Formen anbieten. Niemand möchte frustrierte Schülerinnen und Schüler, die Sport und Bewegung als etwas Negatives, gar Demütigendes erleben und einen freud- und sinnvoll erlebten Zugang so wie Frau Finke erst als Erwachsene zufällig wieder entdecken.

Sportunterricht erreicht alle Kinder und Jugendlichen! Er sollte sich seiner pädagogischen Verantwortung bewusst sein.

Für den DSLV
Achim Rix (Präsident DSLV Schleswig-Holstein)

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