Die Kernfachauflage verfehlt ihren Sinn!

Foto und Bearbeitung: Günter Bobitka

Die nachfolgende Stellungnahme wurde am 08. Oktober 2013 ans MSW gesendet:

Stellungnahme zur sog. Kernfachregelung.

Dem DSLV liegt die „Stellungnahme zur sog. Kernfachregelung aus Sicht der Fächer Geographie, Sozialwissenschaften und Sport“ der Ruhr-Universität Bochum vom 20.06.2013 vor. Dieses Schriftstück bestätigt uns in unserer Einschätzung, dass im Rahmen der 2013 anstehenden Evaluation des LABG 2009 bzw. LZV 2009 eine Modifizierung dringend geboten ist. Wir haben diese Auffassung Frau Ministerin Löhrmann bereits Anfang des Jahres schriftlich vorgetragen. Die o. a. Initiative der Hochschullehrer, die in der Lehrerausbildung eine wesentlich Verantwortung tragen, nehmen wir zum Anlass, erneut darauf hinzuweisen, dass die §§ 3 und 4 LZV eine weder sachlich noch bildungspolitisch begründbare Einengung der Lehrerausbildung geschaffen haben.

Dabei begrüßen wir es als Sportlehrerverband ausdrücklich, dass im Schreiben der Bochumer Hochschullehrer etwas besonders deutlich wird: Die Kernfach-Auflage bei der Fächerwahl unserer zukünftigen Lehrkräfte betrifft nicht lediglich einzelne Fächer und deren fachspezifischen Aufgaben, sondern die schulische Ausbildung unserer Kinder und Jugendlichen als Ganzes. Unabhängig von den unterschiedlichen fachspezifischen Einlassungen zur Kernfach-Auflage ist darüber hinaus aus allgemein schulpädagogischer Sicht festzustellen:

  • Die Kultusministerkonferenz hat 1972 in der Vereinbarung zur Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe nicht ohne Grund erstmals die Gleichwertigkeit aller Schulfächer in ihrer jeweiligen Besonderheit für die ganzheitliche Erziehungs- und Bildungsarbeit der Schule proklamiert. Geht es doch in allen Schulfächern und in jeder Schulstufe in erster Linie darum, dass unsere Kinder und Jugendlichen in der „Pflichtveranstaltung Schule“ anhand fachlicher Inhalte von ihren Lehrkräften erfolgreich dazu angeleitet werden, über die Aneignung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu mündigen und verantwortlich handelnden Mitgliedern unserer Gesellschaft zu werden.
  • Um das Ausbildungspotential aller Fächer für diesen generellen Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule voll zu nutzen, muss die Lehrerausbildung darauf ausgerichtet sein, in allen Fächern eine möglichst hohe Qualität des Unterrichtsangebotes zu erreichen[1].
  • Es ist unmittelbar einsichtig, dass Lehrkräfte diesem Anspruch einer qualitativ hochwertigen Unterrichtsinszenierung weit professioneller, freudiger und mitreißender entsprechen werden, wenn sie in ihrem Lehramtsstudium ihre Fächerkombination in der universitären Ausbildung nach Neigung und Interesse frei wählen können. Nicht alle möglichen Fächerkombinationen wählen zu können, heißt für künftige Lehrkräfte (und vor allem für deren Schülerinnen und Schüler!) letztlich, dass sie nicht all ihre Begeisterung für ihre als erfüllend erfahrenen Befähigungen und Könnenserlebnisse weiter geben können.

Auch wenn die Kernfach-Auflage möglicherweise als bildungspolitische Steuerungsmaßnahme zur vermehrten Studienaufnahme so genannter „Mangelfächer“ dienen soll[2], verfehlt sie ihren Sinn:

  • Lehramts-Studierende zu zwingen, notwendigerweise auch ein gar nicht angestrebtes „Kernfach“ zu belegen, beschert der Schule (und nicht zuletzt auch den Schülerinnen und Schülern!) ohne Zweifel mehr solche Lehrerinnen und Lehrer, die nicht voll und ganz „hinter dem Fach stehen“ und die als Lehrende weniger Engagement zeigen, als es ihnen in einem zweiten Wunschfach möglich wäre.
  • Als Steuerungsmaßnahme erscheint allenfalls eine Quotenregelung aufgrund seriös ermittelter und auf jeweils neuestem Stand gehaltener Bedarfsprognosen sinnvoll[3]. Eine Begrenzung der Studienplätze in besonders „beliebten“ Fächern würde zwar ebenfalls die Wahlfreiheit einschränken, aber dieses Instrument der Auslese hebt zumindest auf ein Qualitätsmerkmal ab: Ein solches „Quotenfach“ werden dann diejenigen studieren können, die sich über ihren Abiturdurchschnitt qualifizieren, was aus Sicht der zu erwartenden Unterrichtsqualität dem Fach nicht schaden wird.

Und selbst als Steuerung der Arbeitsbelastung künftiger Lehrkräfte[4] kann eine Kernfach-Auflage nicht überzeugen:

  • Unabhängig von der in mehreren Arbeitsplatzanalysen sehr unterschiedlich bewerteten fachspezifischen Belastung der Lehrkräfte in ihren Fächern wissen Studierende schon bei ihrer Studienaufnahme sehr wohl, worauf sie sich bei ihrer Fächerwahl einlassen und wählen die fachspezifischen Belastungen bewusst mit.
  • Die unterschiedliche Belastung der Fachlehrkräfte außerhalb der zu haltenden Unterrichtsstunden (Unterrichtsvor- und -nachbereitung, physische und psychische Belastung, Korrekturen, Unterricht an anderen Orten, Betreuung von Arbeits-gemeinschaften und bei Wettbewerben, Vorbereitung von Theateraufführungen, Ausstellungen und Konzerten usw.) lassen sich vor Ort durch verant-wortungsbewusst verteilte Entlastungsstunden[5] sehr viel besser ausgleichen, als durch die bloße Verrechnung nach Fächern.

Der DSLV als Vertreter von mehr als 2500 Sportlehrkräften in Nordrhein-Westfalen unterstützt das Anliegen der Bochumer Hochschullehrer, den Studierenden des Lehramts wieder die freie Fächerwahl zu ermöglichen. Es ist vor dem oben entfalteten Begründungszusammenhang nicht nachvollziehbar, dass durch die Kernfach-Auflage, die auch das nach Deutsch umfangsreichste Pflichtfach Sport betrifft, Studierende in ihren Kombinationsmöglichkeiten bei der Fächerwahl eingeschränkt werden.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Fahlenbock
Präsident

[1] Dass die generelle Gleichwertigkeit der Fächer bei der Wahlmöglichkeit der Schülerinnen und Schüler mit Blick auf einen gesellschaftspolitisch vereinbarten Bildungskanon nicht uneingeschränkt gültig sein kann und demnach der Begriff „Kernfach“ in die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen für die Schüler Eingang gefunden hat, kann nicht die Folie für die Lehrerausbildung hergeben. Lehren ist nun mal etwas ganz anderes als Lernen, und das Bonmot „Eine gute Lehrkraft unterrichte nicht ihre Fächer, sondern ihre Schülerinnen und Schüler!“ ist nicht nur geistreich, sondern es trifft als Handlungsanweisung für die Lehrerausbildung den Kern der Sache.

[2] Was bei der recht willkürlich erscheinenden Festschreibung der „Kernfächer“ ohnedies als fraglich erscheint.

[3] Eine angemessene Festlegung solcher Quoten dürfte bei dem vorliegenden Datenmaterial (Bevölkerungs-entwicklung, Amtliche Schuldaten, statistische Erhebungen an den Hochschulen) kein wirkliches Problem sein.

[4] Auch eine solche Begründung kann bei der recht willkürlich erscheinenden Festschreibung der „Kernfächer“ kaum die Hauptintention gewesen sein, eine derartige Auflage in die LZV aufzunehmen.

[5] Diese Aufgabe wird unserer Wahrnehmung nach an den Schulen in aller Regel einvernehmlich, sachgerecht und meist ohne behördliche Vorgaben gelöst.